„Im Gange liegt etwas, das meine Gedanken weckt und belebt; verharre ich auf der Stelle, so bin ich fast nicht imstande zu denken; mein Körper muss in Bewegung sein, damit mein Geist in ihn hineintritt.“
Jean-Jacques Rousseau
Eine Serie philosophischer Spaziergänge in Leipzig.
Mittels dem Gehen wird jeweils ein Gedankengang mit besonderen Orten verknüpft, welche zu dem aufgegriffenen Thema inhaltliche Bezüge haben. Diese Kombination aus Denken und dem Erleben konkreter Orte eröffnet die Chance, dass die angestoßenen Gedanken nachwirken und Nachhall finden. Jeder philosophische Spaziergang wird durch eine Philosophin / einen Philosophen inhaltlich angeleitet: An zuvor bestimmten Stationen gibt sie/er einen Impuls, zu dem die Teilnehmenden in einen kurzen gemeinsamen Dialog treten. Daran anschließend sind die Teilnehmenden eingeladen, jeweils als Zweiergruppe entlang der folgenden Wegstrecke den Dialog im Gehen fortzusetzen, bis zum Erreichen der nächsten Station. Dort gibt es dann den nächsten Denk-Impuls. Die Teilnahme an den philosophischen Spaziergängen ist für alle Interessierten gedacht und setzt weder ein Philosophiestudium voraus, noch erfordert es Vorkenntnisse oder die Beschäftigung mit Texten vorab. Dies wiederum hindert nicht daran, jeden Gedankengang jeweils mit einem Buch – möglicherweise auch einem Podcast-Beitrag (z. B. WDR Philosophisches Radio) oder einem YouTube-Video (z. B. Sternstunde Philosophie) – zu verknüpfen. Das je vorgestellte Buch (bzw. die betreffende Sendung) ist gedacht als inhaltlicher Ankerpunkt des Spaziergangs wie auch als passender Vorschlag für eine anschließend eventuell gewünschte, individuelle Vertiefung.
Gestaltet und veranstaltet werden die GedankenGänge von Transformatorenwerk Leipzig e.V., Expedition Philosophie e.V. und Denkwege e.V. Für die Konzeption verantwortlich sind Bertram Weisshaar und Dr. Rainer Totzke.
Im Jahr 2024 stehen die GedankenGänge in Verbindung zu dem Festival „Leipzig denkt“, das vom 1.-5. Oktober an vielen unterschiedlichen Orten in Leipzig stattfinden wird.
Ungleich vereint? – Bleibt der Osten wirklich anders?
[So] ist dieser durch bestimmte Eigenheiten geprägte Osten längst Teil der bundesdeutschen Normalität – mit seinen problematischen, aber auch mit seinen bereichernden Aspekten.
aus: Steffen Mau: Ungleich vereint
In einem Jahr mit drei ostdeutschen Landtagswahlen, aus denen die Alternative für Deutschland jeweils als stärkste Partei hervorgehen könnte, ist der Bedarf an gesellschaftlicher Selbstaufklärung besonders groß.
Denkspaziergang mit Dr. Anna Lux (Universität Freiburg)
In seinem aktuellen Buch diskutiert der renommierte Soziologe Steffen Mau die Frage, „Warum der Osten anders bleibt“. Dabei ist das Buch kein Neuaufguss altbekannter Setzungen des Ostens als „das Andere“. Es ist vielmehr ein sensibler wie konstruktiver Beitrag zu den Fragen: Was ist im Osten tatsächlich anders? Woran ist das zu erkennen? Warum ist das so? Und was machen wir damit – politisch, gesellschaftlich, kulturell? – Die Historikerin Anna Lux und der Leipziger Spaziergangsforscher Bertram Weisshaar laden das Publikum ein, diese Fragen auf einem Denkspaziergang direkt vor Ort miteinander zu diskutieren. Der Gedankengang führt vom Wilhelm-Leuschner-Platz, wo das Freiheits- und Einheitsdenkmal errichtet werden soll, zu verschiedenen Leipziger Orten, die uns noch heute, fast 35 Jahre nach der Wiedervereinigung, vom Anders-Sein des Ostens erzählen. – Aber auch davon, wie wir dieses Anders-Sein anders erzählen können und welche anderen Zukünfte daraus vielleicht für uns erwachsen.
Am: 21. September 2024, 14 Uhr
Treffpunkt: Wilhelm-Leuschner-Platz, vor dem Eingang zur Stadtbibliothek
Dauer: ca. zwei Stunden. Die Teilnahme ist kostenfrei
Mut zum Sein
Mut als die universale und essentielle Selbstbejahung des eigenen Seins ist ein ontologischer Begriff. Der Mut zum Sein ist der ethische Akt, in dem der Mensch sein eigenes Sein bejaht trotz jener Elemente seiner Existenz, die seiner essentiellen Selbstbejahung widerstreiten.“
Paul Tillich: Der Mut zum Sein. Hamburg 1965
Denkspaziergang mit Prof. Dr. Thomas Kater zu „Mut zum Sein“.
Wer vom Mut sprechen möchte, darf die Angst nicht verschweigen. Mut wie auch ihre begriffliche Schwester Tapferkeit erscheinen zunächst als ethische Begriffe, mit denen etwas ausgesagt wird, das verlangt wird, um in einer bestimmten Situation zu bestehen, auszuhalten, sich zu überwinden. Mutig sein meint also zunächst, der eigenen Angst zu widerstehen. Angst ist so das ethische Negativ zum Mut, doch Mut meint zugleich auch an sich zu glauben – gegen die eigene Angst.
Der Leipziger Philosoph Prof. Dr. Thomas Kater und der Spaziergangsforscher Bertram Weisshaar nehmen uns mit auf einen GedankenGang zu verschiedenen Orten der Angst, des Mutes und auch der Hoffnung in Leipzig. Dabei laden sie ein, gemeinsam der Frage nachzugehen, wovon wir sprechen, wenn wir von Mut und Angst sprechen und dazu ins Gespräch zu kommen.
Im Hintergrund des GedankenGangs steht das Buch „Der Mut zum Sein“ des protestantische Theologen und Religionsphilosophen Paul Tillich, das 1952 zuerst in englischer Sprache erschienenen ist. In seinem Buch versucht Tillich, den ethischen Sinn von Mut und Tapferkeit aus einer Seinslehre zu entwickeln, die sich aus dem Begriff der Angst entfalten lässt und die in „der ganzen Breite der menschlichen Existenz“ wurzelt. Mut wäre damit als Selbstbejahung zu verstehen.
Am Sonntag, 18. Aug. 2024, Beginn 14.00 Uhr
Startpunkt: Gedenkstätte Zentrale Hinrichtungsstelle der DDR, Arndtstraße 48, 04275 Leipzig
Dauer: ca. 2 Stunden; Teilnahme kostenfrei
Zwischen Freiheit und Finsternis
„Theodor W. Adorno (1903–1969) und Max Horkheimer (1895–1973) (…) ging es um »die Erkenntnis, warum die Menschheit, anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten, in eine neue Art von Barbarei versinkt« – eine Fragestellung, die bis heute aktuell erscheint.“
Neue Gesellschaft Frankfurter Hefte
Gespräch mit einem Jahrhundertbuch • GedankenGang mit Prof. Ulrich Brieler • Programmbeitrag zum Festival „Leipzig denkt: Mut & Unmut“
Die „Dialektik der Aufklärung“, am Ende des 2.Weltkriegs verfasst von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, ist fraglos eines der wichtigsten geistesgeschichtlichen Bücher des 20. Jahrhunderts. Warum? Weil hier in einer ebenso weltgeschichtlichen wie tagesaktuellen Weise über drei Probleme nachgedacht wird. Erstens: Was ist vernünftig? Zweitens: Was heißt, etwas zu sehen und zu beurteilen? Drittens: Was ist Faschismus, was Antisemitismus? Keine dieser Fragen hat sich erledigt.
Die „Dialektik der Aufklärung“ gilt als verschlossen und wenig lesefreundlich. Vielleicht. Unser Spaziergang unternimmt den Versuch, das scheinbar so Schwierige in einer populären Sprache verständlich zu machen. Als Impulsgeber und Gesprächspartner für das gemeinsame Nachdenken ist der Historiker und Philosoph Prof. Dr. Ulrich Brieler (Universität Leipzig) dabei. Das 2021 erschienene Buch „Freiheit und Finsternis“ von Martin Mittelmeier, das Entstehung und Verbreitung der „Dialektik der Aufklärung“ zum Thema hat, liefert dabei einen gelungenen Türöffner in dieses Jahrhundertbuch.
Am Donnerstag, 3. Oktober 2024, Start 14.00 Uhr
Startpunkt: Eingang Universität Leipzig am Augustusplatz
Mut zur Unverfügbarkeit
Wann immer wir mit der Welt in Resonanz treten, bleiben wir nicht dieselben.
Hartmut Rosa
GedankenGang mit Dr. Katrin Felgenhauer / Warm-Up zum Festival „Leipzig denkt: Mut & Unmut“
Alexa, Amazon, Google und Co. sind heute ständige Begleiter unseres täglichen Lebens und machen uns glauben, jederzeit und an jedem Ort über alles Mögliche verfügen zu können. Doch schon ein Virus oder ein im Suez-Kanal verkeilter Frachter bringen z.B. die globalen Lieferketten aus dem Takt, Produkte sind plötzlich nicht erhältlich – Unmut bricht sich Bahn. Dabei bergen eben solche Unterbrechungen auch wichtige Momente in sich: etwa die Anregung, unser Verhältnis zu Verfügbarem und Unverfügbarem zu überdenken. Mit dem Buch »Unverfügbarkeit« des Soziologen Hartmut Rosa in der Tasche nimmt uns die Leipziger Philosophin Dr. Katrin Felgenhauer mit auf einen GedankenGang durch den Landschaftspark Cospuden am südlichen Stadtrand von Leipzig: „Welche Dimensionen der Verfügbarkeit bestimmen unser Leben? Braucht es Mut, um sich der Einsicht und der Erfahrung auszusetzen, dass uns vieles im Leben letztlich doch unverfügbar bleibt? und: Welche Chancen bieten Situationen des Unverfügbaren?“
Die Teilnehmenden werden zu diesen Fragen ins Gespräch zu kommen – unterwegs im Landschaftspark Cospuden, der zur Expo 2000 eröffnet wurde, auf einem Gelände, das wenige Jahre zuvor für den Braunkohlentagebau bereits vollständig entwaldet worden war. Die Bürgerinitiative „Stop Cospuden“ demonstrierte hier mit Mut (und Unmut) während der Friedlichen Revolution. Heute gilt das geflutete Restloch als einer der beliebtesten Seen des Leipziger Neuseenlandes. Wer seine Badesachen mitbringt, kann im Anschluss über dem unverfügbar gewordenen Kohleflöz schwimmen gehen.
Fand bereits statt am 6. Juli 2024